Jedes Jahr aufs neue nehme ich mir vor, die Tage zwischen den Tagen besinnlich angehen zu lassen, mir Zeit zu nehmen für Reflexion, Kontemplation, Dankbarkeitsrituale und Musik… Und immer wieder gerate ich in einen Strudel aus versuchtem Nichtstun, Hochzeitstag feiern, Ferienbespaßung und Silvestervorbereitungen.
Ja, ich weiß, man soll das Leben nicht aufhalten, wenn es einem passiert, und dennoch sieht mein Idealbild von diesen Tagen irgendwie anders aus…
Seitdem ich Mutter bin und wahrscheinlich schon viel länger fehlt mir die Langeweile. Dieser Ort, der unbegrenzten inneren Möglichkeiten, den es zu füllen gilt, und an dem ich mir selbst beim Sein zuschauen kann. Es scheint mir, als müsste ich mir diesen Ort so hart erkämpfen, dass ich mich in letzter Konsequenz dann meist doch wieder auf einen anderen Weg mache. Alles eine Frage der Abgrenzung? Wahrscheinlich eher eine Frage der Prioritäten.
Für mich war Langweile schon immer der Nährboden für meine Kreativität. Dieser leere Raum wie ein weißes Blatt Papier für meine Ideen und Gedanken. Eine Art Wirkstoffverstärker für das, was in mir schlummert – nicht immer schön und doch immer richtig und wahrhaftig. Und ja, im Grunde lauert die Langeweile auch überall. Und zwar direkt neben dem eigenen Smartphone… Diesem verheißungsvollen Dopaminversprechen, neben dem das Melatonin wie eine langweilige Versicherung gegen das Glück aussieht.
Habe ich es verlernt, mich zu langweilen? Warum fällt uns Menschen dieses Aushalten von Langeweile so schwer? Eine kanadische Studie besagt, dass Langeweile schwerer wiegt als Trauer. Vielleicht erklärt das, warum der durchschnittliche Zuschauer nur 13 Sekunden auf meinen Videos bei Instagram verweilt… Nun ja, ich nehme das nicht persönlich, denn ich weiß, dass Social Media eben genau so funktioniert – indem wir uns von einem Entertainment-Moment zum nächsten hangeln bzw. klicken.
Vor ein paar Wochen schaute ich mir mit meinem Mann den Film Perfect Days von Wim Wenders an. In dem Film kann der Zuschauer einem japanischem Mann beim Leben zusehen. Einem Leben, dessen Tage nach einer immer gleich bleibenden Routine ablaufen. Komisch, automatisch spreche ich von „Routine“ – während ich eigentlich auch von einem „Ritual“ sprechen könnte. Denn ja, so fühlte es sich für mich an, als ich diesem einfachen Mann bei der Monotonie seines Lebens zusah – als würde ich einem Ritual beiwohnen, und eben nicht bloß einer langweiligen Routine.
Für den einen (z.B. meinen Mann) mag dieser Film reine Zeitverschwendung gewesen zu sein. Für mich war er ein Fest der Langeweile bzw. Achtsamkeit – kein Film, sondern eher eine Art der Meditation. Als er zu Ende war, merkte ich, wie still es in mir geworden war, wie mein eigener Atem, jeder einzelne Schritt auf einmal eine Bedeutung hatte. Und ich dachte bei mir: Ja, das ist Kunst! Wenn es etwas mit mir macht. Wenn es mich innerlich bewegt. Wenn etwas bleibt.
Ist das Entertainment? Nein – wohl eher Langeweile von ihrer schönsten Sorte 🙂
Auf ein kunstvolles und auf positivste Weise langweiliges 2025!!!
Das hast Du schön Beschrieben- ich genieße ( nicht immer ) die lange Weile, lg aus Ockholm , Manfred